Selfcare - Mit Therapie zur inneren Freiheit

11. Dec 2020 | Analena H.

Als ich davon erfahren habe, dass mein Vater nicht mein Erzeuger ist stand ich zunächst unter Schock. Schnell wurde mir aber klar, dass ich mir professionelle Unterstützung suchen muss, um all das zu verdauen. Ich erzähle in der Geschichte über meinen Weg zur Therapie. Es ist okay sich Hilfe zu suchen.

Foto von Maksim Goncharenok

Manchmal ist man in seinem Leben an einem Punkt angekommen, da kommt man alleine einfach nicht mehr weiter. Gedanken und Ängste häufen sich an und drehen sich im Kreis.

Erkenntnis - Ich bin ein Kuckuckskind

Viele Fragen kommen auf, besonders wenn die Nachricht noch frisch ist. Als ich damals von der Nachricht erfuhr, stand ich unter Schock. Dann kam die tiefsitzende Lähmung. Man hinterfragt alles, an das man einst geglaubt hatte. Familie war mein Rückzug, meine Heilung und nun mein schlimmster Feind.
Ich habe erst viel später verstanden, dass ich professionelle Hilfe brauche. Ich habe mich nach Unterstützung gesehnt.
Dauerhafte Reflexion, Aufarbeitung der Geschehnisse und auch gut gemeinte Ratschläge - das alles war nur ein kleiner Teil meiner Heilung. Ich musste mich erst wild ins Leben stürzen: viel Alkohol, viele durchzechte Nächte, ohne dass ich darauf geachtet habe was mir eigentlich wirklich gut tut. Ungefähr nach einem halben Jahr habe ich verstanden, dass ich diese emotionale, von zerfressenen Gedanken geprägte Phase alleine nicht durchstehen kann. Plötzlich kamen all diese quälenden Fragen auf: Wer bin ich wirklich, Was hätte anders sein können, hätte ich's vorher gewusst, Wer ist mein leiblicher Vater, Was ist damals passiert.
Mit all diesen unbeantworteten Fragen kam die tiefsitzende Traurigkeit, die schlaflosen Nächte und die nicht enden wollenden Gedanken-Spiralen. Ich war müde, so unglaublich müde.

Therapieplatzsuche

Nachdem ich begriffen habe, dass ich schnellstmöglich Unterstützung brauche, habe ich erst einmal wahllos Psychologinnen und Psychologen in meiner Umgebung angerufen. Am Anfang war das ziemlich anstrengend, das möchte ich gleich vorwegnehmen. Ich sprach mit SprechstundengehilfInnen, die mich abwiesen.

Lieber Anrufbeantworter - Danke für nichts!

Mit TherapeutInnen persönlich, die mich leider ebenfalls vertrösten mussten. Aber in der Regel habe ich überwiegend mit Anrufbeantwortern gesprochen. Das kann sehr demütigend sein, ganz besonders wenn diese dir sagen, dass du doch bitte nach dem Piepton den Grund für deinen Anruf erläutern sollst. “Lieber Anrufbeantworter, ich habe vor kurzem erfahren, dass mein Papa nicht meine Erzeuger ist und mir geht es verdammt beschissen, so beschissen, dass ich manchmal darüber nachdenke wie es wäre, nicht mehr auf dieser Welt zu sein” - Danke. Danke für nichts.

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Mit Freundinnen habe ich darüber gesprochen, dass ich mir nun professionelle Hilfe suchen werde. Durch einen Tipp erfuhr ich, dass es eine Art "Meldestelle" gibt, hier in Köln - dort kann man sich auf eine Warteliste schreiben lassen. Diese Warteliste gilt für alle eingetragenen TherapeutInnen, die dort registriert sind. Also mehrere Fliegen mit einer Klappe. Ich schrieb eine Mail an die mir weitergeleitete Mail-Adresse und bekam sehr schnell eine Datei zugeschickt, mit dem Hinweis, dass ich diese Dateien ausfüllen möchte. Es war eine Art Fragebogen und persönliche Details, eine Art Eigenanamnese. Dies sendete ich per Post an das Institut zurück und wartete ab. Nach vier Monaten bekam ich einen Anruf vom Institut, mit der Auskunft nun einen Therapieplatz zu haben. Ich meldete mich bei der Psychologin und vereinbarte einen Ersttermin.

Sitzen auf Probe

Zu Beginn einer jeden Therapie hat man eine Art “Probesitzungen”. Insgesamt werden fünf Sitzungen ohne Vermerk bei der Krankenkasse, abgehalten. Wenn die Chemie zwischen TherapeutIn und PatientIn stimmt, wird die Therapie mit anschließender Diagnose fortgeführt.
Und nein, man liegt nicht immer auf dem roten Samtsofa und der Therapeut sitzt gegenüber auf seinem Stuhl - das gibt es zwar auch, aber ist heute eher selten und meistens in der Therapieform der Psychoanalyse zu finden.
Bemerkt man vor Beendigung der fünf Sitzungen, dass es nicht passt, ist es problemlos möglich die Therapie abzubrechen und sich einen anderen Therapeuten oder Therapeutin zu suchen. Dieses Recht obliegt natürlich auch dem zuständigen Psychologen oder der Psychologin. Es ist wichtig sich gegenseitig die Zeit zu geben. Nicht mit jedem Menschen kommt man von Natur aus klar.

Kleine Schritte machen

Nach meiner ersten Sitzung gab mir meine Therapeutin einen kleinen Stapel mit Dokumenten, die ich Zuhause ausfüllen konnte. Die enthaltenen Fragen waren überwiegend zu meiner Biographie - wo ich herkomme, wie die Beziehung zu meiner Mutter ist, die Rolle meines Vaters und vieles mehr. Solche Informationen ermöglichen dem Therapeuten einen Gesamteindruck der Person zu bekommen. Mögliche Schwerpunktthemen und Leitfaden für die nächsten Therapiesitzungen können so bestimmt werden. An einem anderen Tag haben wir gemeinsam einen Fragebogen ausgefüllt. Der sollte testen ob ich an einer möglichen Depression erkrankt bin. Alle Abläufe und Prozesse waren immer sehr transparent und bei Nachfragen bekam ich prompt eine Antwort. Vor Beendigung der fünf Sitzungen besprachen wir welche Diagnose sie vermutet. Ich kann mir vorstellen, dass das Diagnostizieren auch länger dauern kann. Besonders dann, wenn eine Diagnose sehr komplex ist oder es Zeit braucht, den Knackpunkt des Patienten zu finden.
Bevor die Diagnose an die zuständige Krankenkasse weitergeleitet wurde, haben wir einen möglichen Therapieplan festgelegt mit Anzahl der beantragten Sitzungen und alles weitere besprochen.

Sich alles von der Seele reden

Natürlich ist alles anonym, was während einer Sitzung thematisiert wird. Und genau das ist so wunderbar und bereichernd. Mich hat dieser Fakt motiviert ganz offen zu sein. An erster Stelle zu mir selbst und meiner Therapeutin gegenüber. Plötzlich hast du die Möglichkeit über all deine Gedanken und Ängste laut zu sprechen. Gedanken, Ängste oder auch Fehler, die einem peinlich oder unangenehm sind finden endlich einen gehörten Raum.

Plötzlich hast du die Möglichkeit über all deine Gedanken und Ängste laut zu sprechen.

Wir vereinbarten wöchentliche Sitzungen. Da ich es mit Routine nicht so habe, haben wir immer nur 1-3 Wochen vorausgeplant. Gegen Ende der ersten Therapie-Laufzeit wollte ich das Pensum auf alle zwei Wochen verringern. Auch darüber konnte ich ganz offen mit ihr sprechen. Kurz vor Ende der ersten beantragten Therapiezeit, war ich unsicher, ob ich denn schon ohne Therapie klarkomme, deswegen erstellten wir einen Antrag auf Verlängerung, den die Krankenkasse auch bewilligte. Mit den Formalitäten hatte ich nie was zu tun, das wurde alles von meiner Therapeutin erledigt. Das finde ich auch sehr wichtig, da man manchmal auch gar keine Kraft hat, sich noch um bürokratische Sachen zu kümmern. Was ich lange Zeit meiner Therapie nicht wusste, und erst kurz vor Ende gefragt habe: man kann seine Unterlagen, die sogenannte "Akte", also die Notizen des Psychologens sich aushändigen lassen. Gegen Ende hin haben wir diese Notizen besprochen und im Gesamtbild geschaut, was sich alles verändert hat, welche Fortschritte ich gemacht habe.

Das ist unglaublich wertvoll, wie eine kleine neue Superpower.

Durch die Aufzeichnungen meiner Therapeutin habe ich bis heute alles schwarz auf weiss. Manchmal, wenn mir diese Unterlagen in die Hände fallen, überkommt es mich: ich bin stolz - stolz mir Unterstützung geholt zu haben. Das Ende der Therapie bedeutet nicht zwingend geheilt zu sein oder jetzt weniger Schmerzen durch diese Lüge zu erfahren. Aber es ist das liebevollste was ich je für mich selbst machen konnte - gemeinsam, unterstützend auf mein Leben zu blicken, Gedanken auszusprechen und direkte Fragen stellen zu können. Mittlerweile ist die Therapie fast zwei Jahre her und ich schaue nun erneut nach einem Therapieplatz, diesmal aber in der Tiefenpsychologie (vorher war ich bei einer Verhaltenstherapeutin). Nicht unbedingt weil ich mich wieder schlechter fühle, sondern nun an anderer Stelle an meiner Persönlichkeit arbeiten möchte.

Wenn ich mich körperlich schlecht fühle, gehe ich ja auch zum Arzt.

Die Verhaltenstherapie hat mir gezeigt was für Gedankenmuster und innere Kritiker ich habe. Sie hat mich dabei unterstützt mit mehr Selbstfürsorge durch das Leben zu gehen, mir verdeutlicht, wie ich mit meinen Depressionen umgehen kann, wie ich die inneren Gedanken-Spiralen aufbrechen kann, sie vertröste, sie lerne zu akzeptieren, ich sie beherrsche und sie nicht mich. Das gelingt auch nicht immer. Manchmal eben mehr und manchmal weniger. Aber ich akzeptiere mich und meine Gedanken viel mehr und kann sie kategorisieren und einschätzen. Das ist unglaublich wertvoll, wie eine kleine neue Superpower.
Deswegen möchte ich jeder Person ans Herz legen: Wenn ihr die Energie habt, holt euch Unterstützung. Das ist überhaupt keine Schwäche sondern eine Stärke. Wenn ich mich körperlich schlecht fühle, gehe ich auch zum Arzt.
Und wichtig ist zu wissen, dass der Gang zum Therapeuten nicht der einzige Weg ist. Es gibt auch andere Möglichkeiten. Zum Beispiel eine systemische Familienaufstellung, Psychologische Beratung (Heilpraktiker - zahlt aber die Krankenkasse nicht) und nicht zuletzt der Gang zu einer Selbsthilfegruppe. Da diese noch nicht allzu verbreitet in Deutschland sind, bietet es sich auch an in Foren im Internet zu gehen und bei Bedarf selbst eine Gruppe zu gründen.

Anmerkung
Die Meldestelle von der ich im Text gesprochen habe, ist ein Ausbildungsinstitut für angehende psychologische Psychotherapeuten für zukünftige Therapeuten und Therapeutinnen. Wenn ihr also auch in einer größeren Stadt mit Ausbildungsinstituten wohnt, könnt ihr dort anrufen und Fragen ob diese auch eine Art Warteliste führen.

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